Die französische Revolution macht auch im Saarland Station, und in »Sarre Libre« rollen die Köpfe …
In der Zeit der französischen Revolution (ab 1789) revolutionieren die Saarländer fleißig mit. Viele saarländische Gemeinden begrüßen die französischen Revolutionstruppen und schließen sich spontan der neuen Republik Frankreich an.
Die Leidenschaften der Menschen an der Saar erwachten, und das Feuer der Begehrlichkeit wuchs unter ihnen heran; gedemütigte Städter und unterdrückte Bauern, Unzufriedene wie Wohlmeinende kamen aus ihren Häusern, Hütten und Höfen und eilten, die Trikolore entfaltend, durch die Straßen und Gassen. Sie strömten in hellen Scharen auf die Märkte und Plätze und schrien die Parolen der Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – aus ehrlich begeistertem Herzen. Tapfere St. Johanner traten aus ihren Bürgerhäusern, Kaufläden und Werkhallen heraus, erhoben ihr stolzes Haupt und zeigten kühn das freie Antlitz. Sie steckten sich die Kokarde an den Hut, zogen, die Marseillaise singend, zum Marktbrunnen, pflanzten auf dem Rathausplatz die schönste Fichte aus dem Stadtwald als Freiheitsbaum auf und ließen den Ruf erschallen: Es lebe die Republik!
Noch 1918 lobt der spätere französische Außenminister André Tardieu die saarländischen Revoluzzer:
»Für das französische Geschichtsbewusstsein werden die Saarländer durch diesen Akt zu Gliedern der Gemeinschaft der Franzosen. Weder Blut noch Sprachzugehörigkeit verlangt die französische Nation von ihren Kindern, sondern die Mitwirkung an der ‘Großen Revolution’.«
Wendezeit und Wendehälse
Die Saarbrücker sind da zurückhaltender und nutzen die Wendestimmung, um ihrem Fürst Ludwig von Nassau-Saarbrücken eine fünfseitige Liste mit Forderungen zu unterbreiten (von Einsicht in die Landeskasse und dem Wegfall von Hausdurchsuchungen bis zur Streichung der Gebühr zur Haltung einer Ziege und der Erlaubnis des Kartenspiels). Um seinen Thron zu retten, wird Ludwig zum Wendehals und darf erst mal weiter regieren. Sogar mit den französischen Revolutionstruppen arrangiert sich der Fürst: Sie dürfen sich im Schloss einquartieren; er selbst zieht um in sein Neunkircher Jagdschlösschen.
Unterdessen werden die Revolutionäre in Frankreich immer radikaler, und als 1793 von Paris die Order ausgeht, alle Adligen zu verhaften, hält Ludwig es nun doch für angebracht, sich von der ohnehin schwindenden Macht zu verabschieden und dem schönen Saarland den Rücken zu kehren. Als das Verhaftungskommando an die Pforte des Neunkircher Jagdschlosses klopft, ist der Fürst längst bei Verwandten jenseits des Rheins untergekommen (wo die Welt noch in absolutistischer Ordnung ist).
Das Schloss in Flammen
Kurz nachdem Ludwig sich aus dem Staub gemacht hat, steht das Saarbrücker Schloss in Flammen. Doch wer waren die Brandstifter?
- Saarbrücker Revolutionäre? Würde nicht so viel Sinn ergeben; zu revolutionieren gab’s ja nix mehr: Der Fürst war längst weg.
- Franzosen? Die nutzten das leere Schloss als Truppenquartier; wieso sollten sie sich selbst in Brand stecken?
- Konterrevolutionäre? Na, da würde sich der Fürst aber schön freuen, wenn seine Freunde sein prächtiges Schloss abfackelten.
Wie auch immer: Großen Schaden richtete das Feuer nicht mehr an. Die wirklich wertvollen Sachen hatte der Fürst ins Exil mitgenommen, und den Rest hatten sich längst clevere Saarbrücker Bürger still und heimlich unter den Nagel gerissen. Noch im späten 19. Jahrhundert werden immer wieder gar fürstlich anmutende Möbelstücke in Saarbrücker Wohnhäusern entdeckt.
Die Theorie von den zündelnden Franzosen wird im 19. und 20. Jahrhundert natürlich gerne von der deutschnationalen Propaganda aufgegriffen und findet sich als »wissenschaftliche Tatsache« gar bis heute in diversen Geschichtsbüchern wieder.
Fürst Ludwig war übrigens der Pechvogel des Herrschergeschlechts zu Nassau: Die Nachfahren seiner adligen Verwandten – Königin Beatrix der Niederlande und Großherzog Henri von Luxemburg – sitzen noch heute auf ihren Thronen.
Sarrelibre!
Noch weitaus turbulenter geht es allerdings in Sarre-Louis zu: Während die Saarbrücker Fürsten in den letzen Jahrzehnten den Wohlstand ihrer Untertanen mit wirtschaftlichen Reformen gemehrt hatten (vgl. Folge 4), war Sarre-Louis inzwischen nur noch eine Enklave – der östlichste Außenposten Frankreichs, wirtschaftlich und kulturell abgeschnitten vom Mutterland. Die Sarre-Louiser nennen ihre nach dem König benannte Stadt kurzerhand in »Sarre-Libre« um (aha!) und zählen fortan zu den radikalsten Revolutionären Frankreichs. Mit einer eigens konstruierten mobilen Guillotine werden auf dem Großen Markt Hinrichtungen an »Revolutionsfeinden« vollzogen.
Ob Saarbrücker Wendehälse oder Saarlouiser Radikalos: Alle zusammen werden mit dem deutschen Gebiet diesseits des Rheins schließlich 1797 der neuen Republik Frankreich angeschlossen. Wieder wird die Provinz »Sarre« eingerichtet, doch diesmal mit – man höre und staune – Trier als Hauptstadt (heute: Rheinland-Pfalz).
Lesen Sie in der nächsten Folge: »Napoleon und sein saarländischer General«
Liebe zurückgebliebenen Lokalpatrioten,
euer Eifer in Ehren, aber als gebürtiger Sarrois ist mir bestens bekannt, dass in Saarländischer Seele wenig freiheitsliebendes zu finden ist, jedenfalls nicht genug um sich auf das Abenteuer der Selbstverwaltung in Form eines autonomes Ländchens einzulassen. Zweimal hatten sie auf friedliche weise die Möglichkeit, etwas in dieser Richtung zu gestalten und versagten kläglich an den Wahlurnen ´35 und ´59; sie wollten lieber Heim ins Reich! Angesicht dessen, dass bei der letzten Gelegenheit ihre Fortune in die Hand zu nehmen, unter JoHo, sogar schon Gebäude für europäische Institutionen errichtet waren und sie eine einmalige Chance, die Luxemburg dankbar aufgriff, einfach vertan haben, ist es eher peinlich, von Revoluzzern zu sprechen. Mir fällt zu der Saarwahl 1935 eher der Spruch ein: Nur die dümmsten Kälber, wählen ihren Metzger selber…