Die Franzosen sind wieder da. Es gibt mal wieder Ärger. Und die Saarländer zeigen Flagge – leider die falsche …
Rüstungswahn und Nationalismus stürzen Europa in den ersten Weltkrieg, Deutschland mit Überfällen auf seine Nachbarn vorneweg. Auch viele junge Saarländer melden sich in nationaler Begeisterung freiwillig an die Front. Darunter auch ein gewisser Johannes Hoffmann, von dem wir später noch hören sollen.
Ein Kriegsteilnehmer nach dem anderen fängt an die Haager Landkriegsordnung zu ignorieren, den letzten Überrest Zivilisation. Moderne Waffentechnik wie Panzer, U-Boote und Flugzeuge, Maschinengewehre und Giftgas fordern 10 Millionen Tote und lassen im Nachhinein das Gemetzel von 1870 (vgl. Folge 9) als Kindergeburtstag erscheinen. Nach 4 mörderischen Kriegsjahren hat Deutschland den übermächtigen alliierten Truppen nichts mehr entgegenzusetzen und kapituliert.
Die Herzen der Saarländer
Im Friedensvertrag von Versailles werden wieder einmal neue Grenzlinien gezogen. Bei dieser Gelegenheit möchte sich Frankreich das Saarland flugs unter den Nagel reißen. Doch US-Präsident Wilson verkündet die neueste Maxime, die da lautet »Selbstbestimmungsrecht der Völker«. Die Saarländer haben also in einer Volksabstimmung die einmalige Chance, selbst zu entscheiden, zu welchem Land sie gehören wollen. Doch bis es soweit ist, darf Frankreich die Kohlengruben des Saarlandes 15 Jahre lang ausbeuten (als Entschädigung für die Zerstörungen durch die deutsche Armee). Verwaltet wird das Land in dieser Zeit von einer Regierungskommission des Völkerbundes (eine Art Vorläufer der UNO), unter dem Vorsitz Frankreichs. 15 Jahre Zeit also für Frankreich »die Herzen der Saarländer zu gewinnen«.
Dieser Vertrag von Versailles gilt als die eigentliche Geburtsstunde des Saarlandes. Es taucht 1920 zum ersten Mal in ungefähr der Form, wie wir es heute kennen, auf der Landkarte auf.
Während also im übrigen Deutschen Reich (von den Saarländern ab jetzt kurz »es Reich« genannt) erstmalig Demokratie und Freiheit einkehren, haben es die Saarländer wieder einmal mit neuen Herren zu tun.
Die Franzosen belassen es nicht bei der Ausbeutung der Kohlengruben, sondern kaufen sich in die Stahlwerke ein, gliedern das Saarland in den französischen Wirtschaftsraum ein und führen schließlich den französischen Franc als alleiniges Zahlungsmittel ein. Letzteres bekommt den Saarländern gar nicht so schlecht, erweist sich doch das Franzosengeld als deutlich stabiler als die deutsche Mark.
Franzosen gegen Saarländer
Die Strategie Frankreichs, die Volksabstimmung zu gewinnen, ist, aus den Saarländern Franzosen zu machen (in der Fantasie des französischen Ministerpräsidenten Clemenceau leben im Saarland ohnehin bereits 150 000 »Saarfranzosen«). Frankophile Vereinigungen und Zeitungen werden großzügig unterstützt. Zwangsweise werden französische Schulen eingeführt. Die gesamte Verwaltung wird mit französischen Beamten besetzt, die oft kein deutsch können. Auch der saarländische Regierungschef Victor Rault ist der deutschen Sprache nicht mächtig.
Doch die Französisierungsmaßnahmen haben genau den gegenteiligen Effekt: die Saarländer wehren sich durch Streiks – die Regierungskommission antwortet mit dem Kriegsrecht. Und die älteren Saarländer haben ein Deja vu (vgl. Folge 7 »Adieu Sarre-libre!«).
Bevor es zur Eskalation kommt, schalten sich die übrigen Völkerbundsmitglieder ein und ermahnen die Regierungskomission grundlegende Freiheitsrechte einzuhalten. Die Saarländer bekommen daraufhin sogar ein frei gewähltes Parlament spendiert, das jedoch einen kleinen Schönheitsfehler hat: Es hat überhaupt nichts zu sagen.
Die Lieblingsparteien der Saarländer
Nichtsdestotrotz gewährt es schon mal einen Einblick, wie die Saarländer politisch so ticken: Ganz im Gegensatz zu anderen Industrierevieren wählen die Saarländer mehrheitlich die katholische Zentrumspartei, während Sozialdemokraten, Kommunisten und die Liberalen eine untergeordnete und die Nationalsozialisten überhaupt keine Rolle spielen. Letztere tauchen erst 1932 mit mageren 6,7% im Parlament auf, während sie in dieser Zeit im »Reich« bereits Wahltriumphe feiern können.
Die Saarländer zeigen Flagge – nur leider die falsche …
Zur bewusst pro-deutschen (und damit anti-französischen) Demonstration wird – organisiert von den saarländischen Vereinen – 1925 die »Rheinische Jahrtausendfeier« inszeniert. Sie soll an den Anschluss Lotharingiens (also auch der »Rheinlande«) zu Deutschland erinnern – ein heute vollkommen in Vergessenheit geratenes Ereignis (vgl. Folge 2: »Ein Land dazwischen«). Im ganzen Land werden Freudenfeuer entzündet und Fahnen geschwenkt – allerdings zumeist das Schwarz-Weiß-Rot des Kaiserreiches und nicht das Schwarz-Rot-Gold des demokratischen Deutschlands. In Frankreich ist die Message jedenfalls angekommen: »Die Partie war schön. Wir haben sie verpfuscht.« »Le Plébiscite est fait – die Abstimmung ist gelaufen«
Die »Herz-Gewinnungs«-Aktionen Frankreichs sind also grandios gescheitert und für die Saarländer – gleich welcher politischen Richtung sie zugeneigt sind – ist demnach vollkommen klar, dass sie sich bei der anstehenden Volksabstimmung für den Anschluss an Deutschland entscheiden werden …
… bis zum 30. Januar 1933 …
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Lesen Sie die in der nächste Folge am 26. Juni: »Heim ins Reich – Nur nicht gleich!«
Gerade bin ihc auf Ihre Seite gestossen, sehr zu meiner Freude. Ich schreibe über die Familie meines Vaters, der offiziell in Rehlingen geboren ist. Seine Familie ist 1927 renaturiert worden, was ich bisher nicht so richtig einordnen konnte und nach Ars-sur- Moselle gezogen. Bisher habe ich das als eine Art Ausweisung begriffen, weil die Großmutter in Lothringen, als es gerade 12 Jahre deutsch war geboren ist, aber ich glaube, Ihre Seite hilft, das Geschichtsbild ein wenig zu korrigieren. Herzlichen Dank für Ihre gute Arbeit.