9. Übersinnliche Erscheinungen

Ein Gemetzel findet statt. Die Jungfrau Maria erscheint. Und eine Hexenjagd beginnt …

Madonna von Marpingen
Schaut auch mal im Saarland vorbei: die hl. Jungfrau Maria

Die feindselige Stimmung den Preußen gegenüber ändert sich allmählich: 1870 wird Saarbrücken von den Franzosen besetzt. In einem bis dato beispiellosen Gemetzel vor den Toren der Stadt, bei dem 7000 Menschen sterben, besiegt die preußische Armee schließlich das französische Heer.

Es Schultze Kathrin

Zum saarländischen Mythos wird dabei Katharine Weißgerber, genannt »Schultze Kathrin«. Die Saarbrücker Hausangestellte kümmert sich selbstlos um die Verwundeten auf beiden Seiten – eine gern erzählte Geschichte, um dem unbarmherzigen Massaker noch etwas Menschliches abzugewinnen.

Die Preußen werden von nun an als Schutztruppe vor den Franzosen gefeiert. Der Sieg über Frankreich und die darauf folgende Vereinigung der deutschen Staaten zu einem neuen Kaiserreich lässt den deutschnationalen Rausch auch ins Saarland schwappen. Der größte Teil Lothringens und das Elsass werden dem deutschen Reich einverleibt und das Saarland liegt auf einmal wieder mitten in Deutschland (naja: fast). Der saarländischen Industrie, die sich jetzt Richtung Westen orientiert, gibt dies jedenfalls weiteren Auftrieb.

Brutale Preußen gegen fromme Saarländer

Doch es geht auch künftig nicht ohne Reibereien: 1876 erscheint im saarländischen Marpingen, glaubwürdigen Augenzeugenberichten zufolge, die heilige Jungfrau Maria höchstselbst. Täglich pilgern bis zu 20.000 Gläubige zur Stätte des Wunders. Wunderheilungen finden statt. Doch dem antikirchlich eingestellten Preußen ist die Frömmigkeit der tiefgläubigen Saarländer suspekt. Die preußische Regierung schickt Truppen nach Marpingen, um die Versammlungen aufzulösen. Die Soldaten vertreiben die Betenden mit aufgesetzem Bajonett und Kolbenschlägen, besetzen das Dorf, schütten die »Gnadenquelle« zu und riegeln die Erscheinungsstätte ab. Erst 1919, wenn die Preußen die Macht im Saarland wieder an die Franzosen abgeben, wird das Betreten der wundersamen Stätte wieder erlaubt sein.

Der König von Saarabien

Auch an der Lage der Arbeiter ändert sich nichts; sozialdemokratische Umtriebe werden nicht geduldet. Insbesondere Stahlbaron Carl Ferdinand von Stumm (genannt »der König von Saarabien«) veranstaltet eine Hexenjagd auf echte und vermeintliche Sozialdemokraten. Schon in einer Kneipe gesehen zu werden, in der eine unerwünschte Zeitung ausliegt, kann den Job kosten:

„Wir entlassen jeden Arbeiter, der einem sozialdemokratischen Vereine beitritt, der eine sozialdemokratische Zeitung liest, oder der selbst ein Wirtshaus besucht, in dem sozialdemokratische Versammlungen abgehalten werden oder in dem ein sozialdemokratisches Blatt ausliegt.“Carl Ferdinand von Stumm 1880 vor dem deutschen Reichstag

Gleichzeitig begeistern sich die Saarländer für den deutschen Kaiser und das deutsche Reich. 1904 errichten die Städte Saarbrücken und St. Johann gar ein riesiges Reiterstandbild für den Kaiser. Das nationale Thema wird geboren. Es wird bis in die 1950er Jahre eine wichtige Rolle in dem kleinen Land spielen.

Die Madonna von Marpingen is back und hat inzwischen eine eigene Homepage zwecks Online-Verehrung: www.gottesmutter.de 

Lesen Sie in der nächsten Folge am 19. Juni: »Ein Land wird geboren«

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